Migrationssensibles Handeln in den Erziehungsstellen der conneXX GmbH

27. Apr.. 2021Betreuungsstellen, Bewerber*innen, Jugendämter

Unsere Gesellschaft in Deutschland wird vielfältiger. Im Zuge von Migrations- und Einwanderungsprozessen stellen Familien mit Migrationshintergrund mittlerweile einen großen und selbstverständlichen Teil der Bevölkerung dar. Rund 30% der jungen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt, 2020). Gleichzeitig herrscht aber immer noch große Verunsicherung im Umgang mit Migrationsfamilien. So stellen Themen, wie z.B. der Umgang mit gefühlt anderen „kulturellen Praktiken“, Stereotype sowie die Unkenntnis der Lebenssituation, Hürden in der Gestaltung eines normalisierenden Miteinanders dar. Im Folgenden stellt conneXX GmbH einige Forschungsergebnisse und Aspekte zu diesem Themenbereich vor:
Zuerst eine Begriffsdefinition im Kontext des Kinderschutzes: Diversivitätsbewusstsein im Kinderschutz kann als grundlegende selbstreflexive Haltung aller im Verfahren Beteiligten definiert werden (Hamburger, 2012). Diese impliziert das Bewusstsein darüber, dass Migrationsprozesse sich auf Familiensysteme und die einzelnen beteiligten Individuen auswirken und mit einer Reihe an spezifischen Herausforderungen (auf psycho-emotionaler wie auch sozio-ökonomischer, rechtlicher und bildungsbezogener Ebene) verknüpft sein können. Gleichzeitig sind die Migrationsbiographien und -geschichten so plural, dass Migrationssensibilität kein Wissen über Patentrezepte enthalten kann, sondern vielmehr eine den jeweiligen Familien wertschätzend begegnende Grundhaltung impliziert. (Jagusch, 2013)

Das notwendige Diversivitätsbewusstsein trifft im Kinderschutz auf nicht zur Disposition stehende Rechte. Alle Kinder haben das Recht auf gewaltfreie Erziehung sowie auf Schutz vor Vernachlässigung, sexuellem Missbrauch und Misshandlung. Gleichwohl steht den Kindern sowie den Sorgeberechtigten das Recht auf Beteiligung zu. Dabei sollte ein Eingehen auf Vorverständnisse und ein Anknüpfen auf Vorerfahrungen selbstverständlich sein.
Migrationssensibilität auf der Ebene der Erziehungsstellen Leiter*innen:
Von den Fachkräften werden persönliche soziale Kompetenzen, wie z.B. Fähigkeit zur Selbstreflexion, Einfühlungsvermögen, Offenheit und Toleranz, kommunikative Kompetenz und Ambiguitätstoleranz erwartet. Darüber hinaus sind auch spezielle migrationsspezifische Kenntnisse (wie z.B. das Wissen über Migrationsgründe, Belastungen der Migration etc.) hilfreich. Eigene Migrationserfahrung oder internationale Erfahrung können, wenn reflektiert, durchaus sensibilisierend wirken.
Einbezug der Herkunftsfamilie:
Forschungsergebnisse belegen, dass besondere migrationsspezifische Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie in den Bereichen religiöse Erziehung und Sprachgebrauch liegen. Der Gesetzgeber schützt insbesondere das Recht der Herkunftseltern über die religiöse Erziehung der Kinder zu entscheiden (§1 KErzG). Was das Thema Sprachgebrauch und Spracherhalt nach einer Fremdplatzierung betrifft, so gibt es Hinweise, dass diesem oft wenig Beachtung geschenkt wird. Dies kann dazu führen, dass die Arbeit mit den Eltern und deren Einbezug in der Hilfeplangestaltung erschwert wird. (vgl. Celebi/Teyhani, 2018)
Rechtliche Aspekte:
Die Lebenssituation von Familien mit Migrationshintergrund kann durch rechtliche Rahmenbedingungen zusätzlich erschwert sein, wie z.B. durch einen ungesicherten Aufenthaltsstatus (Reimer, 2018). Innerhalb einer ESt kann ein ungesicherter Aufenthaltsstatus des jungen Menschen zu Verunsicherungen und Einschränkungen (Bsp. Junger Mensch darf Deutschland nicht verlassen) führen. Es ist daher zu empfehlen, dass bei jedem Hilfeplangespräch ein Sachvortrag zur aufenthaltsrechtlichen Situation und deren Auswirkungen auf die jungen Menschen, deren Eltern und den Fachkräften der ESt stattfindet.
Gelingende Hilfeprozesse:
Hilfeprozesse gelingen vor allem dann, wenn Lösungen gemeinsam mit dem Herkunftssystem gesucht werden. Dabei sollen Verständnis und Verständigung im Vordergrund stehen. So könnten HPGs in den Räumlichkeiten des zuständigen Jugendamtes durchgeführt werden, da es dort einfacher ist Dolmetscher hinzuzuziehen. Schröer (2019) weist darauf hin, dass viele Familien mit Migrationshintergrund den Staat und Ämter öfter mit Repressionen als mit Hilfe assoziieren. Dem Herkunftssystem könnte z.B. durch das Erzählen von Fallbeispielen das Recht auf Partizipation, aber auch die Konsequenzen bei fehlender Mitwirkung/Nichteinhalten von Vereinbarungen kommuniziert werden.

Literatur:

  • Celebi, Gülseren/ Teyhani, Gülgün (2018): Ergebnisse des Modellprojektes PemM. Neue Ansätze für die interkulturelle Pflegekinderhilfe. Herausgegeben vom Landesjugendamt Westfalen (LWL).
  • Hamburger, Franz (2012). Abschied von der Interkulturellen Pädagogik. Plädoyer für einen Wandel sozialpädagogischer Konzepte. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
  • Jagusch, B. (2013). Migrationssensibilität im Kinderschutz.
  • Kadera, S. & Kindler, H. (2020): Migrationssensible Hilfen. Abgerufen am 20.04.2021 unter https://guteverfahren.elearning-kinderschutz.de/pluginfile.php/3146/mod_resource/content/1/2-4-F3_Kadera-Kindler_Migrationssensible-Hilfen.pdf
  • Reimer, Daniela (2018): Wann ist Pflegekinderhilfe interkulturell? In: Celebi, Gülseren/Teyhani, Gülgün: Ergebnisse des Modellprojektes PemM. Neue Ansätze für die interkulturelle Pflegekinderhilfe. Herausgegeben vom Landesjugendamt Westfalen (LWL).
  • Schröer, Hubertus (2019). ASD als interkultureller Sozialer Dienst. In Joachim Merchel (Hrsg.), Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD) (S. 159-171). (3. Auflage). München: Ernst Reinhardt GmbH & Co KG.
  • Statistisches Bundesamt (Destatis) (2020). Migration und Integration: Migrationshintergrund. Abgerufen am 20.04.2021 unter https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Um-welt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Glossar/migrationshintergrund.html.